Interviews zum Thema Burn-out-Syndrom

Burn-out ist keine "Mode-Diagnose", sondern ernst zu nehmende Spirale. Lesen Sie mehr zum Thema.

Hier einige Links zu früheren Interviews:

Presseinterview  zum Thema Burn-out mit Dott. Thomas M. Platzer

Für die Fachzeitschrift MIKADO führte Frau Beck im Sommer 2010 folgendes Interview mit Dott. Thomas M. Platzer.

Frau Beck: Welches sind, Ihrer Erfahrung nach, die Hauptursachen für Burn-out im beruflichen Alltag?

Dott. Thomas Platzer: Bis heute ist „burn-out“ keine eindeutig anerkannte Krankheit, für die es eine im deutschen Gesundheitswesen klare Codierung gibt, wie beispielsweise der „arterielle Bluthochdruck“ seine ICD-10-Ziffer I 10 hat. Unter der Rubrik „Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitssystems führen“ wird „Burn-out“ am Rande erwähnt.

Womit wir uns einem Teil der Frage nähern: wir suchen „Faktoren“, also „Ursachen“. Bleibt ein zweiter Aspekt, der sich aus der Frage ergibt: „gibt es ein Burn-out nur im beruflichen Alltag?“ – „Eher nein“, sage ich als Experte.

Burn-out zeigt sich aufgrund seiner komplexen Entstehungsweise in verschiedenen Facetten. Mithin kann es schon vorkommen, dass der „Zustand emotionaler Erschöpfung, reduzierter Leistungsfähigkeit und eventuell Depersonalisation infolge einer Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität“ (aus: Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 2006) bei einigen Menschen zuerst am Arbeitsplatz und im beruflichen Alltag wahrgenommen wird, zumal man sich dort die meiste Zeit eines Tages aufhält. Grundsätzlich wird das „Burn-out“ die weiteren Lebensbereiche abseits des beruflichen Alltags miterfassen, sofern es diese noch gibt und nicht bereits die Aufgabe eines „Lebens abseits der Arbeit“ den Grundstein legte für das Burn-out-Syndrom. Somit ist bereits eine Hauptursache angedeutet: die Aufgabe weiterer Interessen abseits des beruflichen Alltags.

Burn-out ist also eine sich schleichend manifestierende Dysbalance in einem, zwei, dann vielen Lebensbereichen, die am Schluss das ganze Individuum erfasst und von innen heraus bildlich zu Staub und Asche verfallen lässt („burn out“ aus engl. „ausbrennen“)

Die Dysbalance manifestiert sich in verschiedenen Erschöpfungsphasen: der geistigen, der psychisch-emotionalen, der körperlichen, sozialen Erschöpfung. Manchmal gereiht und gestaffelt, manchmal mehr oder minder gleichzeitig. Es gibt aber auch das medizinische, und hier ganz speziell das neuroendokrinologische, Bild des Burn-out.

Egal ob Depressionen, Schlafstörungen, AD(H)S oder Burn-out-Syndrom: alle diese Befindensstörungen lassen einen gemeinsamen Auslöser, oft sogar eine gemeinsame Ursache erkennen. Es sind Störungen im Neurotransmitterstoffwechsel.

Neurotransmitter sind chemische Botenstoffe, welche sowohl im zentralen, als auch im peripheren Nervensystem aktiv sind. Dazu zählen die Katecholamine (Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin) und Serotonin, aber auch Neuropeptide, wie Endorphine oder Aminosäureverbindungen (Glutamat, GABA). Der Überbegriff zeigt bereits deren Aufgabe, nämlich die Übertragung spezifischer Signale und damit die Weiterleitung von Informationen von einer Nervenzelle zur nächsten.

In der Peripherie wirken Neurotransmitter auf die Blutgefäßkontraktion und damit auf den Blutdruck, auf die Herzfrequenz, auf die Muskelkontraktion, im Darmnervensystem (Motilität, Schmerzwahrnehmung, „Reizdarm“, „leaky gut sydrome“) und auf die Bildung bestimmter Hormone.

Im ZNS beeinflussen Neurotransmitter u.a. die Schlafregulation, Appetitregulation, Temperaturregulation, Motivation, das Gedächtnis und die Aufmerksamkeit, aber auch Suchtverhalten, Schmerzperzeption und mentale Befindlichkeit (Stimmungslage). Nicht ohne Grund wird Serotonin beispielsweise als „Glückshormon“ bezeichnet.

Es gibt viele Gründe, die das Netzwerk aus aktivierenden und hemmenden Signalen aus dem Gleichgewicht bringen können.

In erster Linie ist es der „moderne Lebensstil“. Dieser setzt sich zusammen aus einseitiger, hyperkalorischer und vitalstoffarmer Ernährung, mangelnder Bewegung, hohen Anforderungen im familiären, partnerschaftlichen, sozialen, kommunikativen und, hier kommt der springende Punkt, im beruflichen Alltag. Anhaltender chronischer oxidativer Stress und Entzündungsphänomene sind weitere Ursachen einer Verarmung an Serotoninvorstufen und einer sinkenden Serotoninsynthese-Kapazität. In einer zunehmend komplexeren Welt addieren sich chronischer Stress, Schlafmangel und Überforderungen im Beruf und Privatleben dazu.

Beck: Welche Anzeichen deuten auf eine Gefährdung hin?

Dott. Thomas Platzer: In erster Linie ergibt sich bereits aus dem Gesagten, welche Anzeichen wegweisend sein können. Jeder, der einen nicht ausgewogenen Lebensstil hat, sich beruflich (und dazu zählt auch der Haushalt der sehr engagierten Hausfrau und Mutter!) stark einbringt, ist gefährdet. Es trifft also den hochdotierten Manager ebenso, wie die Krankenschwester, gefährdet ist die Aufsichtsratsvorsitzende ebenso, wie der Bäckermeister und Firmeneigner eines Familienunternehmens. Es trifft Frauen ebenso wie Männer. Wobei es geschlechterspezifische Unterschiede gibt in der Verarbeitung und im Umgang mit der Krankheit.

Chronischer, überbordender Stress führt schon im Sinne des medizinischen Bildes zu Erschöpfung, letztlich zum Burn-out. Betrachte ich eben gesagtes als primäre Gefährdung, so ergeben sich sekundäre Anzeichen durch Ängstlichkeit, insbesondere wieder den beruflichen Alltag betreffend Zukunftsängste. Aber auch innere Unruhe, Mut- sowie Entschlusslosigkeit, Nervosität, innere Unruhe, Müdigkeit (bedingt durch Ein- und Durchschlafstörungen), Kopfschmerz bis hin zur Migräne, Erschöpfung, Kraftlosigkeit, fehlender Antrieb, Motivationsverlust. Es ergänzen sich dieses oft begleitend Gewichtszunahme, Heißhungergefühle, Herzbeschwerden, Libidoverlust.

Es sind also Anzeichen, die auch aus anderen Ursachen herrühren können, man denke an die Wechseljahre, an Schilddrüsenerkrankungen, das metabolische Syndrom.

Und das ist das gefährliche: hier wird das Individuum fast krakenartig erfasst von verschiedenen, eng miteinander verwobenen gesundheitlich negativen Aspekten, die sich gegenseitig bedingen und gegenseitig ergänzen. So kann Stress am Arbeitsplatz eine autoimmune Schilddrüsenentzündung bahnen, während gleichzeitig intrafamiliäre Konflikte der fast erwachsenen Kinder mit dem Beginn der Wechseljahre zusammenfallen.

Man kompensiert dies durch Hast und Ungeduld bei allen Verrichtungen einschließlich dem Essen, man steigert die Suchtmittel von der Zigarette über den Alkohol bis hin zu Beruhigungs- und Aufputschmittel, legt ein unkoordiniertes Arbeitsverhalten an den Tag.

Kann körperlich nicht mehr, freut sich über nichts, bleibt ideenlos und vernachlässigt das soziale Netzwerk.

Es gibt zur Verdeutlichung der erlebten und von außen zu beobachtenden Symptome, also der sekundären Anzeichen, mehrere Modelle, die in Stufen den Aufstieg in die immer enger sich windende Spirale des Burn-out beschreiben.

Eines davon benennt das große Engagement und die idealistische Begeisterung als erste Stufe, gefolgt von Stufe zwei, der Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse. Es reiht sich oft klar zu sehen die dritte Stufe mit der Enttäuschung hinzu, was in der vierten Stufe nach Kompensation drängt, welche salopp gesprochen als die Phase des Griffs zu „Drogen“ ist. Das fördert Phase Fünf, das Desinteresse und die Gleichgültigkeit, gefolgt in der sechsten Stufe von Depersonalisation und dem Auftreten körperlicher Symptome. Die siebte Stufe ist der Zusammenbruch.

Abschließend ergibt sich auch eine Gefährdung durch das, was wir „genetische Polymorphismen“ nennen. Dabei geht es um die genetisch festgelegte, unterschiedliche Ausprägung bestimmter Merkmale. Konkret heißt das hier, dass manche Neurotransmitter beispielsweise nicht in genügender Menge synthetisiert werden können, oder ihrer Menge keine ausreichende Zahl von Rezeptoren gegenübersteht, und vieles mehr.

Das alles kann in einer modernen, auf diesen Zweig ausgerichteten Praxis in Zusammenarbeit mit hochspezialisierten Labors herausgefunden werden. Es erschließt sich aber, dass diese Leistungen von keinem Kostenträger übernommen werden. Aber wer dafür einmal auf eine teure Eskapade verzichtet, hat gut investiert.

Beck: Wie kann der Einzelne dann gegensteuern?

Dott. Thomas Platzer: Der Einzelne muss sich, und hier beginnt die Schwierigkeit, seiner Situation bewusst werden. Ferner darf er diese nicht auf die leichte Schulter nehmen. Er muss den Weg zurückfinden in seine perfekte Harmonie, in sein Gleichgewicht. Dazu bedarf es Strategien zum Führen der eigenen Person und nicht nur der Firma. Das Gleichgewicht muss ganzheitlich sein, dazu muss der Betreffende viel über seine Gesundheit lernen, welche sich aus Ernährung, Bewegung konstituiert, er muss lernen das rechte Maß zu erkennen. Muße und Meditation sollen Eingang finden in sein glühendes Leben, welches allem voran echte Entspannung entbehrt.

Das hilft zur psychischen Balance, steigert die Stresstoleranz, klärt die Sinnfrage.

Jedem, der gefährdet oder bereits mitten drin ist im Burn-out-Syndrom, ist dringend anzuraten, sich auf professionelle Hilfe zu stützen und sich an ein entsprechendes professionelles Institut zu wenden.

Beck: Was tun, wenn das Arbeitsvolumen ständig die eigenen Kräfte übersteigt?

Dott. Thomas Platzer: Wer diesen Zustand empfindet, ist zumeist schon mitten drin in der erwähnten Spirale des Burn-out. Althergebrachte Tugenden vom Pflichtbewusstsein, Übereifer und ausgedehnten Arbeitszeiten bestimmen oftmals immer noch die Karriere und die Betriebsführung. Eine Arbeitsplatzausgestaltung, welche dem Burn-out des oder der Mitarbeiter vorbeugt, tut Not und lohnt allem nützt allem voran auch dem Unternehmen, welchen auf lange Sicht das „Unternehmens-Burn-out“ droht. Dies erklärt sich dadurch, dass ein ausgebrannter Mitarbeiter oder Chef dem Unternehmen mit Sicherheit Schaden zufügt.

Einige Betriebe haben dies bereits erkannt und begonnen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, die landläufig unter dem Begriff „work-life-balance“ in die Sprache Eingang fanden. Es dient dem Einzelnen und dem somit Ressourcenmanagement betreibenden Unternehmen, welches sich garantiert langfristig, oft schon kurzfristig Wettbewerbsvorteile verschafft.

Hierzu zählen die Implementierung individueller Arbeitszeitmodelle, eine Flexibilität im Tagesablauf. Es werden Prozeduren der Arbeitsorganisation an die Bedürfnisse der Mitarbeiter angepasst, was wiederum als familienfreundliche Personalpolitik positiv zu bewerten ist, weil familiäre Zeitbedürfnisse ebenso darunter fallen. Beispielsweise kommt hier das im Einzelfall sehr praktische „home-office“ dazu. Größere Unternehmen helfen unterstützend bei einer optimierten Kinderbetreuung (innerbetriebliche KiTas usw). Selbst die Politik fordert in diesem Zusammenhang auch eine individuellere und großzügigere Gestaltung von Elternzeit und Wiedereinstieg ins Berufsleben, auch durch Teilzeitmodelle und entsprechende Steuerentlastungen, die wählbar sind. Grundsätzlich hilfreich ist eine Unternehmenskultur, die durch Vertrauen und Rücksicht auf die familiäre Situation und die privaten Bedürfnisse der Mitarbeiter geprägt ist.

Es sind also die hier nicht abschließend aufgeführten Maßnahmen als ein entscheidender Schritt anzusehen, um entgegenzuwirken, wenn das Arbeitsvolumen scheinbar ständig die gegebenen Kräfte übersteigt.

Beck: Gibt es vorbeugende Maßnahmen?

Dott. Thomas Platzer: Heute kennen wir gute diagnostische Möglichkeiten für den Nachweis neuroendokrinologischer Funktionsstörungen. Denn Voraussetzung für eine korrekte Diagnose und eine erfolgreiche Therapie ist die Laboranalyse der Neurotransmitter Serotonin, Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin, sowie der bioaktiven Stresshormone Cortisol und DHEA. Das kann neben einem rechtzeitigen Life-style-Wechsel präventiv sehr vorteilhaft sein. Es kann aber auch helfen zu erkennen, wer sich bei einem positiven Lebenswandel von vornherein schwer tut, wem dies nicht so ohne weiteres und vor allem ohne professionelles Coaching und gegebenenfalls therapeutische Hilfe bis hin zur Supplementierung gelingen kann.

Zwischen den zirkulierenden Mengen an Neurotransmittern im ZNS und den nachweisbaren Konzentrationen des jeweiligen Neurotransmitters im Urin besteht eine enge Korrelation. Die quantitative Bestimmung von Serotonin, Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin erfolgt mit hoher Spezifität und Sensitivität im zweiten Morgenurin, der unkompliziert durch den Patienten gewonnen werden kann.

Die bioaktiven Fraktionen der Stresshormone Cortisol und DHEA werden optimal im Speichel bestimmt, der vom Patienten zu verschiedenen Tageszeiten nicht-invasiv und stressfrei abgegeben wird.

Ein Vorteil der Bestimmung von Steroidhormonen im Speichel gegenüber dem Blut ist einerseits die einfache, stressfreie und leicht wiederholbare Probengewinnung, sowie die exzellente Stabilität der Hormone.

Andererseits wird der größte Teil der im Blut zirkulierenden Sexualhormone an sogenannte Carrier wie z.B. Albumin oder spezifisch an SGBH gebunden. In der freien und damit biologisch wirksamen Form liegen im Serum jedoch nur etwa 0,5% - 5% der Hormone vor. Bei der Messung im Speichel werden nur die biologisch aktiven, freien Steroidhormone erfasst, die sehr gut mit den bioaktiven Mengen im Blut korrelieren.

Es ist somit möglich, hormonelle Reaktionen, kurzfristige Schwankungen oder tages- und altersabhängige Veränderungen im freien Hormonspiegel zu erfassen, die bei der Bestimmung der Gesamtmenge im peripheren Blut aufgrund der großen Menge an gebundenem Hormon möglicherweise nicht erkannt werden.

Mit den innovativen Möglichkeiten der Neurotransmitter-Diagnostik können individuelle und detaillierte Befundinterpretationen und Behandlungsvorschläge erfahrener Hormonärzte gemacht werden, welche den Weg zur erfolgreichen Therapie weisen.

Zu den Gesundheitsstörungen, die mit einer Dysbalance der Neurotransmitter-Systeme in Verbindung stehen, stehen

Depressionen (unipolar und bipolar) – Angstzustände, Panikstörungen
Depressive Verstimmung – Libidoverlust
Stress (chronisch) – Gedächtnisstörungen
Burn-Out-Syndrom – Gewichtszunahme, Adipositas
Schlafstörungen – Fibromyalgie
Chronische Müdigkeit – Reizdarm
Hyperaktivität, AD(H)S – Kopfschmerzen, Migräne

Beck: Kann man Stress vermeiden? Und wenn ja – wie?

Dott. Thomas Platzer: Über die Frage, ob sich Stress vermeiden lässt, kann man ganze Bücher schreiben. Schon über den „Stress“ als solchen in mehr als nur einigen Absätzen zu sinnieren, würde den hiesigen Rahmen sprengen.

Stress ist Überlebensgarantie. Stress als Druck oder Spannung entspricht dem Reiz von außen, der eine Reaktion zur Folge hat. Schon Einzeller reagieren auf den stressenden Reiz mit einer Antwort. Die durch Zucker gestresste Bauchspeicheldrüse reagiert mit einer Insulinantwort, die auf Dauer dick macht. Hier ist die pausenlos zugeführte Mahlzeit auf Dauer ein negativer Stress.

Stress ist Überlebensnotwendigkeit. „Kein Stress“ bringt das Leben nicht und nichts im Leben voran. Zuviel Stress ohne Gegenpol wiederum schadet.

In der Stressforschung unterscheidet  man zwischen Disstress und Eustress. Die Wortwahl der Forscher kommt aus dem Englischen. Wird beispielsweise ein Flug annulliert, so stehen die „disstressed passengers“ am Schalter der Fluggesellschaft Schlange und warten auf ihre Unterbringung in einem Hotel. Dem Disstress folgt die Entspannung, der Eustress. Ein Ungleichgewicht zwischen beidem schadet, denn negativer Stress lässt den Menschen in seinem körperlich-geistigen Spannungsfeld nicht wieder in seine ursprüngliche neutrale Ausgangslage zurück finden. Das Individuum gelangt an sein Limit, das ihm durch positiven Stress erspart bliebe. Denn dieser zeichnet sich dadurch aus, dass wir ihn als beglückend erleben. Er erhöht unseren Tatendrang, spornt zu Leistung an, erhöht die Belastbarkeit (Stresstoleranz) und wirkt sich vorteilhaft sogar auf das Immunsystem aus, indem es die Endorphinproduktion anregt und die Hormone des negativen Stresses wie beispielsweise Cortisol neutralisiert.

Indes reagiert nicht jeder, der dem gleichen Reiz oder Druck ausgesetzt ist, gleichermaßen. Die Reaktion steht in direktem Zusammenhang mit der individuellen Persönlichkeit, der Lebensgeschichte und mithin –erfahrung, aber auch der Erziehung mitsamt ihren Werten und moralischen Prägungen. Die neueste Literatur weist darauf hin, dass ein Burn-out viel mehr mit der individuellen Persönlichkeit zusammenhängt, wie mit der realen Belastung.

Diese Erkenntnis zum Stress wird verkompliziert dadurch, dass Stress nicht nur von außen eine Reizreaktion provoziert, sondern eben auch von innen, in unserem Kopf.

Das erklärt, warum ein Stressreiz an einem Tag eine negative Reaktion auslösen kann und am nächsten eine positive Empfindung weckt. Man denke an den Stillstand im Auto vor einer roten Ampel: mal stresst uns das enorm, weil wir es eilig haben, mal nutzen wir die Zeit positiv, um einen Radiosender auszusuchen. Das Ergebnis der momentanen und individuellen Analyse des Reizes entscheidet also darüber, ob ein Reiz, ein Stress als belastend oder herausfordernd gewertet wird. Dagegen ist niemand immun.

Dies erklärt also, warum Stress nicht vermeidbar ist, weil Stress „das Leben als solches“ ist und nur in einem Gleichgewicht aus Spannung und Entspannung , einer Balance aus „selbstbestimmt“ und „fremdbestimmt“ das „Aufblühen“ vor das „Ausbrennen“ stellt.

Beck: Was raten Sie Menschen, die stark unter Druck stehen aufgrund hoher Verantwortung und hohem Arbeitsvolumen?

Dott. Thomas Platzer: Nach dem voranstehenden Vortrag wird sehr deutlich, dass der diesbezügliche Rat sehr klar und eindeutig ausfallen muss. Jeder, der stark unter Druck steht, eine hohe Verantwortung trägt und ein entsprechend hohes Arbeitsvolumen hat muss versuchen, eine tragfähige „Life-Balance“ zu finden.

Diese beginnt mit einer intensiven Selbstreflexion, einer eingehenden Inventur des eigenen Lebens. Es sollten ausführliche Gedanken angestellt werden zu den Themen der Prioritäten im Leben, der Ziele des Lebens, Wünsche und Werte sollen reflektiert und hinterfragt werden. Was ist wichtig? Was bestimmt das Tun? Was steht hintan?

Diese grundlegenden Überlegungen zwingen dazu, Abstand zu gewinnen, sich selbst von außen zu beobachten. Es hilft, die sich drehende Mühle für einen Moment zu verlangsamen, anzuhalten.

Doch nicht jedem gelingt es in dieser Phase, einen realistischen Zielkatalog zu erstellen für seine Zukunft, nicht allen glückt ein Leitfaden für die weitere Lebensplanung, ohne dass hieraus ein neuer Leid-Faden wird.

Deshalb soll mein zweiter Rat dahin gehen, professionelle Hilfe im Sinne eines Life-Balance-Coaching aufzusuchen und anzunehmen. Die sollten kompetente Vital- Aging-Spezialisten sein, denen Burn-out-Patienten aus der täglichen Praxis wohlvertraut sind.

Ohne einen  Impuls von außen bleibt der Plan eines besseren Lifestyle-Konzeptes  oft Makulatur, die sich bald schon im nächsten Stadium der Spirale des Burn-out selbst überholt.

Das Internet ist hilfreich beim Finden eines Fachmannes bzw. einer Fachfrau.


Hier ein Presseinterview vom Frühjahr 2009 der freien Journalistin Elke Birke aus Hamburg mit Dott. Thomas Platzer

FRAGE: Das Burn-out-Syndrom ist seit geraumer Zeit in aller Munde. Wie wird diese Diagnose gestellt? Sind die Behandlungsansätze rein schulmedizinisch und nur psychotherapeutisch? Wie wird das Syndrom angegangen?

Dott. Platzer: Selbstverständlich für eine gute und profunde Anamnese, Befunderhebung und Diagnosestellung ist es, echte  Depressionen, bipolare Affektionsstörungen und andere Erkrankungen abzugrenzen von dem, was landläufig als „Burnout-Syndrom“ bezeichnet wird.  Ferner meine ich, dass der Tenor der Mehrheit meiner Patienten der ist, „jetzt einen Check und eine Behandlung zu machen, damit sich ein echtes Burnout-Syndrom vermeiden lässt“. Denn ein echtes und klinisch manifestes Burnout-Syndrom bedeutet in aller Regel, dass man über einen sehr langen Zeitraum den Versuch einer Therapie unternimmt mit einem ungewissen Ausgang bezüglich der „restitutio ad integrum“, also der Wiederherstellung des voll funktionsfähigen Zustandes.

Grundsätzlich wird, wie stets, individuell und sehr einfühlsam vorgegangen. Neben der endokrinologischen erfolgt die gesamtheitsmedizinische Abklärung der Hintergründe des Burn-out Syndroms, auch unter den Aspekten der allgemeinen und speziellen Psychohygiene, um zielführend mit der Behandlung beginnen zu können. Auch komplementär-medizinische Ansätze stehen für  den Diskurs der Behandlung des Burn-outs, des Stressmanagements und der Burnout-Prophylaxe zur Wahl.

Doch der Gedanke der Ganzheitlichkeit trägt sich weiter: ein gutes Konzept alleine nutzt wenig, wenn der Erfolg nicht aufzeigbar, messbar, quantifizierbar ist.  Und ein Konzept lebt insbesondere auch von seiner auch längerfristig nachweisbaren Nachhaltigkeit.

FRAGE: Können Sie das bitte kurz erklären wie, womit, wodurch? Was verstehen Sie unter nachweisbarer Nachhaltigkeit?

Dott. Platzer: Der Erfolg eines Anti-Stress-Konzeptes kann sich, ähnlich wie Schmerz, auf zweierlei Arten messen und quantifizieren lassen: zum einen subjektiv durch den Patienten selber, der mittels freier Rede, Fragebogen oder mit Hilfe einer Stress-Skala sein subjektives Stressempfinden mitteilt. Zum anderen gibt es durchaus eine Reihe objektiver Messwerte, die den Erfolg des Konzeptes darstellen können. Dazu zählen einfach erhebbare Parameter wie die Herzfrequenz, HRV (Herzrhythmusvariabilität), der Blutdruck, der Blutzuckerspiegel, der Hautwiderstand bei bioelektrischer Messung, aber auch die Cortisolausschüttung aus den Nebennieren und der Cortisolspiegel im Blut können die Tragfähigkeit des Konzeptes nachweisen. Letzterer Wert kann beispielsweise kombiniert werden mit dem TSST (Trier Social Stress Test), der im Erfolgsfall verbesserte Werte erbringen sollte.

Langfristig lässt sich dieser Erfolg immer nur dann quantifizieren, wenn man die Vorher-Nachher-Situation analysiert. Das ist individuell unterschiedlich und mag bei einem Menschen eine medikamentenunabhängige Blutdrucksenkung sein, verbesserte Laborparameter (beispielsweise  Blutzuckerwerte, Cholesterinspiegel, Blutfettwerte), aber auch ein in den Alltag integriertes neues Lebensgefühl mit einem stringenten Plan, oder um ein griffigeres Wort zu verwenden: ein neues Lifstylekonzept.

Was die Nachhaltigkeit betrifft, so lassen sich auch hier aussagekräftige Erfolgsargumente bringen, wenn die o.g. Parameter und Umstände (subjektiv und objektiv) auch nach geraumer Zeit noch nachweisbar sind. Dies dürfte allem voran dann der Fall sein, wenn gewisse Meditationspraktiken und Alltagsumstellungen sich im Leben der betreffenden Person etabliert haben, so wie sie im Rahmen des Anti-Burnout-Programms vermittelt und erlernt wurden. Unfallträchtigkeit, Fehltage am Arbeitsplatz infolge von krankheitsbedingtem Ausfall würden mithin auch objektiv augenscheinlich werden, so wie subjektiv ein Mehr an innerer Ruhe zu vermelden wäre.

FRAGE: In wie fern kann „medical wellness“ in der Symptomatik weiter helfen?

Dott Platzer: Das Bedürfnis der Menschen nach „Wellness“, also nach „Wohlbefinden“, ist ein Zeichen für ein Umdenken. Stressgeplagte Burnout-Symptomatiker entdecken, oftmals eher intuitiv als kognitiv, den Zusammenhang zwischen Körper, Geist und Seele. Dieses eher aus dem Bauch heraus entstehende, als durch Einsicht geprägte Bestreben, in Einklang mit sich selbst zu kommen, führt dazu, dass beispielsweise Wellness-Hotels dafür herhalten müssen, im Rahmen eines Urlaubs oder eines verlängerten Wochenendes dem aus dem Gleichgewicht gekommenen all das wieder gut zu machen, was der Alltag ihm zerstört. Und sie spüren, dass ein ganzheitliches „Wohlbefinden“ ihrem Naturell entgegenkommt, weil Ganzheitlichkeit derzeit besonders „in“ ist.

Doch angesichts dieses Umbruchs im Denken ist die Verantwortung des Arztes in einem Wellness-Resort mit dem Angebot des „medical wellness“, so wie ich das über einige Jahre in leitender Position ausgeübt habe, umso größer, diesen Trend in die richtigen Bahnen zu leiten.

Die Gesundheit muss an erster Stelle stehen. „Wellness“ ist also sekundär, wenngleich als Prophylaxe nicht unerheblich. Denn mit „wellness“ und „medical wellness“ lässt sich ein neues Lifestyle-Konzept schulen.

Doch kritisch betrachtet stellt sich folgende Frage: ist, gemäß diesem Lifestylekonzept, „Stress“ denn auch wirklich abtrainierbar? Oder bleibt „Stress“ immer das, was er ist: ein von Außen auf einen Organismus einwirkender Reiz, der im Idealfall adäquat beantwortet wird. Stress kann negativ oder positiv sein. Stress kann ein sich von der Reizquelle abwenden zur Folge haben, oder eben ein sich dem Stressor, der Reizquelle zuwenden.

Die Sonnenblume ist ein strahlendes Beispiel für die Zuwendung hin zur Reizquelle. Gerät dieses Zusammenspiel aus den Fugen, so verbrennt die Sonnenblume. Burned out. Abschließend wird sie geerntet, zwecks Ölgewinnung noch einmal so richtig ausgepresst. Der Lauf der Dinge. Doch die Sonnenblume hat kaum  eine andere Wahl, sie kann (außer am Ende) dem ganzen nicht entrinnen.

Wir Menschen können und sollten dem Zuviel an positiver wie negativer Reizquelle entrinnen. Mithin ist Stress also nicht abtrainierbar. Es ist wohl aber erlernbar, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, um dem jeweiligen Reiz auszuweichen. Um nicht an seiner negativen Wirkung oder unserer falschen Überreaktion auf ihn zu verbrennen. Aber auch, um nicht von ihm völlig vereinnahmt zu werden und, diesmal von der anderen Seite des Spektrums kommend, wiederum an ihm zu verglühen.

Somit schließt sich der Kreis im Sinne der eingangs zitierten Definition vom „Burnout-Syndrom“ und der Möglichkeit, mit den individuellen Gegebenheiten des Alltags in ein positives Gleichgewicht, in eine harmonische „Balance“ zu gelangen, die man von Mal zu Mal mehr durch die wachsende Erfahrung im Umgang mit dem „Chamäleon Stress“ im täglichen Leben gesundheitsschützend und –fördernd mit sodann nachweisbarem Erfolg leben kann.

FRAGE: Wenn ein Patient unter den Burn-out Anzeichen leidet, auf wie lange sollte/muss eine solche Strategie also angelegt sein, damit der Patient mit einem nachhaltigen Erfolg bzw. Umsetzen des Gelernten in den Alltag wieder einsteigen kann?

Dott. Platzer: Eine derartige Strategie richtet sich, wie gerade erwähnt, in ihrer Form und Dauer ganz nach den Bedürfnissen, aber auch den Möglichkeiten des Patienten, sollte aber im Mindesten mehrere Wochen dauern. Persönlich halte ich einen längeren Behandlungszeitraum wegen der Rezidivprophylaxe für sinnvoll.

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